Donnerstag, 26. April 2012

Entscheidungen

Entscheidungen überfordern mich. Heillos. Ich bin von der Sorte Mensch, der sich vor dem Regal im Einkaufsladen minutenlang mit der Frage beschäftigen kann, welches Shampoo oder welchen Käse er denn nun eigentlich will. Nach ausführlichem Hin- und Herdrehen nehme ich schließlich einen, laufe ein Stück weiter, mache dabei ein betont entschiedenes Gesicht, biege dreimal um die Ecke und lande schließlich möglichst unauffällig wieder vor demselben Regal, nur um den Käse gegen einen anderen zu tauschen. Bestenfalls. Manchmal lasse ich ihn auch einfach - oh Schande über mein Haupt - an einer x-beliebigen Stelle liegen, nehme dann lieber gar keinen anstatt mich noch einmal der vermeintlich schwierigsten Entscheidung meines augenblicklichen Lebens stellen zu müssen: Goudakäse oder Tilsiter?

Typisch Frau, sagt mein Mann. Typisch Überfluss-Generation, die Gesellschaft. "Wer die Wahl hat, hat die Qual", schreit es einem von jeder Ecke entgegen. "Was will ich eigentlich?!?", so schreit es in mir. Und damit meine ich nicht bloß den Käse, nein, den im Geringsten. Vielmehr geht es mir um Entscheidungen, die mich auf viele Jahre, wenn nicht sogar das ganze Leben lang prägen: Mit wem mein Leben verbringen (diese Frage hat sich Gott sei Dank erledigt - wie es dazu kam und wie lange es dauerte, hier vielleicht mal an anderer Stelle), was studieren, worin spezialisieren, wann Kinder (Kinder?), wo wohnen, und wie? Nicht genug damit, dass man einmal diese Entscheidung getroffen hat, denn vor vielen dieser Fragen steht man vermutlich immer und immer wieder.

Vielleicht kann man entscheiden ja lernen. Indem man dem ganzen nicht die allergrößte Bedeutung beimisst - theoretisch zumindest. "Die wenigsten Entscheidungen sind unumkehrbar", sagte mir einmal eine weise Frau. Recht mag sie haben, und in der Tat nimmt es mir ein Stückchen den Druck. "Fehlentscheidungen gehören zum Leben", sagen die, die es bereits erlebt haben. Aber muss ich die Erfahrung wirklich machen, mich falsch zu entscheiden? Und es im Nachhinein zu bereuen? Schlimmstenfalls auch die Kosten und Mühen auf mich zu nehmen, um den Weg nochmals zu ändern, und damit eindringlich die Konsequenzen für meine Fehlentscheidung zu spüren? Was heißt überhaupt "falsch", ist das nicht ohnehin immer relativ?

Fest steht, ich habe Angst vor Fehlentscheidungen. Immer noch, auch wenn ich bereits die ein oder andere schwerwiegende hinter mich gebracht habe. Und feststelle, ich lebe immer noch. Doch vor allem das heutige Angebot überfordert mich. Das Angebot an möglichen Berufswegen in den letzten Monaten am allermeisten, und das ironischerweise erst lange nachdem die Entscheidung bereits längst gefallen ist. "Ich hätte doch auch ...", so startet mein Gehirn beim Anblick der Stellenanzeigen, in denen alles und jeder gesucht wird, nur nicht ich. "Warum habe ich nicht...?" Entnervt und verunsichert klappe ich den Laptop zu. Wünsche mich trotzig zurück in die Zeit, in der Oma und Opa noch jung waren (aber nach dem Krieg, versteht sich), in der es für Oma noch nicht so viele Möglichkeiten gab, in der "Selbstverwirklichung" noch wie ein von weit hergeholtes Fremdwort in ihren Ohren klang und nicht wie ein gesellschaftlich auferlegtes Muss. Besonders für eine Frau. Und oft wünsche ich mir jemanden, der mir die Entscheidungen einfach abnähme oder ich es mir einfach machen könnte indem ich glaubte "Er da oben wird`s schon richten", das Schicksal entscheide letztlich doch ohnehin für uns alle.

Doch ist Flucht oder die Abgabe der Verantwortung nicht die Lösung, und ebenso wenig können wir noch wollen wir (in den meisten Fällen) die Zeit zurückdrehen oder uns freiwillig in Kulturkreise begeben, in denen das Treffen freier Entscheidungen keine Selbstverständlichkeit ist. Vielleicht ist es ja auch doch nicht so verkehrt, wenn ich versuche möglichst auf meinen Bauch und mein Herz zu hören, um mich in dem Dschungel aus Möglichkeiten und potentiellen Wegen zurechtzufinden. Nicht zwangsweise bedeutet ja auch jede Weggabelung das ausschließliche "Ja" oder "Nein", A oder B. Manchmal gibt es auch noch einen Zwischenweg. Hauptsache weiterlaufen, egal in welche Richtung. Denn das schlimmste Gefühl ergibt sich aus dem Verharren und Steckenbleiben zwischen den Möglichkeiten, aus Angst davor, nur nicht die falsche zu wählen. Das Leben auf diese Weise in die eigene Hand zu nehmen, gehört vermutlich zu den größten Überwindungen, aber auch Erfüllungen des Erwachsen-Seins. Ich hoffe, ich lerne es noch.

Herzlichst (un-)entschiedene Grüße, C.

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